Nie wieder ist jetzt

Jüdisches Leben in Deutschland schützen, bewahren und Stärken

Der grausame Terror-Angriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 war das größte Massaker an Jüdinnen und Juden seit der Shoah und hat uns alle schockiert. Wir trauern immer noch um die über eintausend Ermordeten und fordern die sofortige Freilassung der von der Hamas verschleppten Geiseln.

Seit dieser unentschuldbaren Gräueltat ist der Konflikt im Nahen Osten erneut eskaliert und Israel führt eine unerbittliche Militärkampagne in Gaza, dem Westjordanland und im Libanon. Während wir das Recht der Israelis und Jüdinnen und Juden im Nahen Osten auf ein Leben in Freiheit, Sicherheit und Demokratie und die Sicherheit und das Existenzrecht des Staates Israel uneingeschränkt unterstützen, verdient auch das palästinensische Volk ein Leben in Würde und Sicherheit. Es muss auch in dieser – gerade für uns Deutsche – außerordentlich schwierigen Debatte möglich sein, dass sich Solidarität für und mit Israel UND Solidarität für und mit dem palästinensischen Volk nicht ausschließen.

Gerade als Deutsche müssen wir immer für Humanität eintreten, das gilt bei der Verurteilung von schrecklichen Terror-Anschlägen unbedingt, aber eben auch bei teils unverhältnismäßigen Militäreinsätzen, Siedler-Gewalt oder menschenverachtenden Äußerungen rechtsradikaler israelischer Regierungsmitglieder, ohne dabei das grundsätzliche Recht auf Verteidigung und Sicherheit Israels in Frage zu stellen.

Ich selbst war in den Nullerjahren dieses Jahrhunderts erstmals und öfter in Israel und habe dort bei persönlichen Begegnungen mit Mitgliedern der Histadrut und Vertreterinnen und Vertreter der Zivilgesellschaft viele tiefgreifende Gespräche geführt, die mich noch heute bewegen. Ich erfuhr keinerlei Ressentiments oder Vorbehalte mir gegenüber, was mich erstaunte. Selbst ein alter Gewerkschafter mit in Auschwitz tätowierter Häftlingsnummer begegnete mir voller Herzlichkeit. Auf Nachfrage, wie das komme, hörte ich von meinenGesprächspartnerinnen und Gesprächspartnern, dass die Sicherheit Israels im Hier und Jetzt eine viel größere Rolle für sie spiele, als die Erfahrungen und der Nachhall der Schrecken der Shoa. Deutschland sei jetzt ein wichtiger Partner für die Sicherheit Israels, da könne man es sich nicht leisten, nachtragend zu sein.

Mich macht es betroffen, wenn nach einer solchen schrecklichen Tat wie am 7. Oktober 2023, statt Solidarität und Unterstützung, vielen Jüdinnen und Juden nun noch mehr Hass, Feindseligkeit und Gewalt entgegenschlägt. Es macht betroffen, wenn das Eintreten gegen Antisemitismus in manchen Kontexten mit Buhrufen und Feindseligkeit quittiert wird und es macht mich traurig, wenn anderseits das offensichtliche Leid der palästinensischen Zivilbevölkerung von manchen schlichtweg ignoriert wird.

Der weltweit zunehmende Antisemitismus in Wort und Tat ist ein großes Problem und ich stimme dem vorliegenden Antrag der Fraktionen SPD, CDU/CSU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP zu, damit vom Deutschen Bundestag ein geschlossenes Signal gegen Antisemitismus und für den Schutz jüdischen Lebens in Deutschland und Europa ausgeht, denn nie wieder ist auch jetzt. Diese grundsätzliche Einigkeit ist wichtiger als hundertprozentige Euphorie über jeden Nebensatz. Dieser Antrag ist kein alleiniger Antrag der SPD, damit ist auch nicht jeder Satz ein Satz der SPD. Der Wert dieses Antrages ergibt sich daher nicht aus der unbegrenzten Zustimmungsfähigkeit zu jeder Silbe, sondern aus der Einigkeit über das Ziel, jüdisches Leben in Deutschland zu schützen.

Es wäre naiv zu bestreiten, dass Antisemitismus auch in Teilen der Zuwanderungsgesellschaft ein Problem ist. Dafür müssen wir als demokratische Gesellschaft nach Lösungen suchen. Gleichzeitig dürfen wir nicht den Eindruck erwecken, als wäre zunehmender Antisemitismus ein Problem, das ursächlich auf Zuwanderung aus muslimisch geprägten Ländern zurückgeht. Antisemitismus und andere Formen gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit sind in manchen arabisch- oder türkischstämmigen Männergruppen ebenso zu beobachten wie an rechtsradikalen Stammtischen oder in manchen Burschenschaften – falsch sind sie überall.

Die Debatte um den Nahost-Konflikt wird häufig auch dadurch erschwert, dass bei diesem Thema kaum Zwischentöne möglich sind. Alles ist schwarz oder weiß, für oder gegen Israel, für oder gegen die Palästinenser. Unser Grundsatz sollte Humanität sein. Aus unserer Geschichte erwächst dabei eine besondere Verantwortung dafür, solidarisch an der Seite Israels zu stehen, was aber nicht bedeuten darf, dass Kritik an der israelischen Regierung unmöglich wird.

Natürlich kann es problematische Überschneidungen geben, aber – auch scharfe – Kritik an der Politik einer rechtsradikalen Regierung in Israel ist nicht gleichzusetzen mit Antisemitismus. Auch wenn sie auf Kulturveranstaltungen oder in wissenschaftlichen Debatten geäußert wird, ist sie von der Meinungsfreiheit gedeckt. Wir sollten unliebsame Debattenbeiträge nicht über juristische Definitionen verhindern, sondern stattdessen argumentativ stellen. Offenen Antisemitismus oder Rassismus, egal ob von der Bühne, im Hörsaal oder auf der Straße, müssen wir uns aber nicht bieten lassen und sollten wir mit allen rechtsstaatlichen Mitteln bekämpfen.

Ich stimme heute zu. Und ich denke dabei an meine Freundinnen und Freunde der Histadrut, besonders in Haifa.